18 Sep

Hybride Führung? Hybrid Leadership? What the hell is that?

HYBRIDE FÜHRUNG, NEW LEADERSHIP. Durch die Managementdiskussion geistert seit einiger Zeit ein neuer Modebegriff: hybrid. Er wird aktuell ähnlich inflationär zum Etikettieren von altem Wein in neuen Schläuchen genutzt wie zuvor das Wort agil.

 

So las ich soeben während meines Mittagsschmauses den Aufmacher-Artikel der neuen Ausgabe der Zeitschrift managerSeminare quer mit dem Titel „Hybrid Leadership: Die intelligente Brücke quer“. Anfangs war ich recht interessant, da ich mir dachte: Vermutlich dreht sich der Artikel in Corona-Zeiten darum, wie ein Leadership möglich ist, wenn  ein Teil der Mitarbeiter im Betrieb und ein anderer im Homeoffice arbeitet. Doch weit gefehlt. Deshalb konnte ich mir nach einiger Zeit ein Gähnen nicht verkneifen – was vielleicht auch an meinem mittäglichen bioenergetischen Tief lag.

 

Hybrid? Ein Brückenschlag zwischen „zwei Welten“?

In dem Artikel beschreiben die beiden Diplom-Psychologen Frank Bischoff und Dr. Christian Heiss (Webseite:  www.hybrid-leadership.de ) vielmehr ihr Führungskonzept, mit dem Führungskräften der „Brückenschlag“ gelingt zwischen einerseits „der Anforderung, die Arbeit flexibler, dynamischer und agiler zu organisieren“, und andererseits ihren „klassischen Führungsaufgaben wie die Vermittlung von Klarheit und Stabilität, die den neuen Anforderungen (angeblich – Anmerkung) widersprechen“.

Hinter dem Artikel steht letztlich das Eingeständnis: Agilität entpuppt sich im Betriebs- und Führungsalltag nicht als das Allheilmittel, als das es in den zurückliegenden Jahren insbesondere von Beratern oft propagiert wurde – eine Erkenntnis, die sich im Projektmanagement-Bereich schon lange durchgesetzt hat, weshalb immer mehr Anbieter ein „hybrides“ Projektmanagement propagieren, das die Stärken bzw. Vorzüge des klassischen und des agilen Projektmanagements in sich vereint.

 

In Sowohl-als-auch-Kategorien denken

Nun dringt diese Erkenntnis, die unser Kunde Prof. Dr. Georg Kraus seit Jahren mit den Worten „nicht in ‚Entweder-oder-‘ sondern in ,Sowohl-als-auch-Kategorien‘ denken“ zusammenfasst, also auch in die Führungs- bzw. Leadership-Debatte vor und weil dies unter Marketinggesichtspunkten gut ist, wird schwups ein neues Label kreiert: „Hybrid Leadership“. Dabei gibt es ein entsprechendes Label seit über 50 Jahren: Es heißt „Situatives Führen“.

Hierzu hat unser Kunde Hans-Peter Machwürth schon vor über einem Jahr einen – aus meiner Warte – wunderbaren Artikel mit der Überschrift „Agil oder situativ führen?“ verfasst, der mehrfach in Print- und Onlinemedien veröffentlicht wurde. Er sei aus gegebenem Anlass hier nochmals publiziert.

 

„Agil oder situativ führen?“

Hans-Peter Machwürth

Den idealen Führungsstil gibt es nicht. So lautete 1968 die zentrale Botschaft von Ken Blanchard und Paul Hersey, den Entwicklern des Situational Leadership-Ansatzes – auch situatives Führen genannt: Sie postulierten: Führungskräfte müssen abhängig von der jeweiligen Situation und vom jeweiligen Gegenüber ein unterschiedliches, teils sogar konträr wirkendes Führungsverhalten zeigen. Mal müssen sie Mitarbeiter loben, mal tadeln. Mal sollten sie diese beim Erfüllen einer Aufgabe aktiv unterstützen, mal sich bewusst zurücknehmen.

 

Kompetente Mitarbeiter entlasten Führungskräfte

Soweit, so gut! Doch leider wurde im betrieblichen Alltag oft der Entwicklungsgedanke vergessen, der mit dem situativen Führen verbunden ist. Und damit beginnt ein Teufelskreislauf. Weil die Führungskräfte ihre Mitarbeiter nicht fördern, können sie ihnen auch nicht mit der Zeit mehr und komplexere Aufgaben übertragen. Deshalb steigt sukzessiv die Belastung der Führungskräfte – auch weil die Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung permanent vor neuen Herausforderungen stehen.

Um diesen Herr zu werden, streben aktuell viele Unternehmen danach, ihre sogenannte Agilität zu erhöhen. Und von ihren Führungskräften fordern sie, dass sie ihre Mitarbeiter „agil führen“. Dabei wird leider oft übersehen, dass ein solcher Führungsstil, der weitgehend auf die Selbstorganisation und Eigenverantwortung der Mitarbeiter setzt, ein gewissen Reifegrad der Mitarbeiter, aber auch Führungskräfte voraussetzt.

 

Die vier Stufen der Mitarbeiterentwicklung

Dem Situational Leadership-Ansatz zufolge lassen sich in der Entwicklung von Mitarbeitern, abhängig von deren Kompetenz und Engagement, vier Stufen unterscheiden. Diese seien kurz skizziert.

Wenn Mitarbeiter eine neue Aufgabe übernehmen, dann haben sie hiermit oft kaum Erfahrung. Ihre Kompetenz ist also gering. Trotzdem gehen sie die Aufgabe mit einem großen (Lern-)Eifer an (Entwicklungsstufe 1). Doch meist stellt sich bald eine gewisse Desillusionierung ein – zum Beispiel, weil sich die neue Aufgabe als schwieriger als gedacht erweist. Das bewirkt nicht selten ein Nachlassen des Engagements (Entwicklungsstufe 2). Trotzdem arbeiten die Mitarbeiter weiter und entwickeln so allmählich ein Gespür dafür, wie sie die Aufgabe meistern können. Sie sind aber noch unsicher und fragen sich: „Kann ich das wirklich alleine?“. So schwankend wie ihre Gefühle ist dann ihr Engagement (Entwicklungsstufe 3). Je häufiger die Mitarbeiter die Aufgabe jedoch mit Erfolg gelöst haben, umso größer wird ihre Sicherheit. Das heißt, sie entwickeln sich zu „Profis“, die die Aufgabe routiniert lösen und auch nicht panisch reagieren, wenn bei deren Lösung mal ein etwas anderes Vorgehen praktiziert werden muss (Entwicklungsstufe 4).

Bei den vier Entwicklungsstufen gilt es zu beachten: Sie beziehen sich stets nur auf eine Aufgabe. Das heißt, bei  jedem Mitarbeiter sind die Kompetenz und das Engagement von Aufgabe zu Aufgabe verschieden. Also ist auch ein unterschiedliches Führungsverhalten angesagt.

 

Das Führungsverhalten der Entwicklung anpassen

Beim Führungsverhalten lassen sich dem Situational Leadership-Ansatz zufolge zwei Grundkategorien unterscheiden: ein dirigierendes und ein unterstützendes Verhalten.

  • Ein dirigierendes Verhalten konzentriert sich darauf, wie eine Aufgabe zu erfüllen ist. Bei ihm sagt und zeigt die Führungskraft ihrem Mitarbeiter, wann und wie etwas getan werden muss, und gibt ihm ein Feedback über das Ergebnis. Das Ziel eines dirigierenden Verhaltens ist es, die Kompetenz anderer Menschen zu entwickeln.
  • Ein unterstützendes Verhalten hingegen zielt darauf ab, die Eigeninitiative von Menschen zu fördern und ihre Einstellung bezüglich einer Aufgabe zu beeinflussen. Beispiele für ein unterstützendes Verhalten sind Loben, Zuhören und Ermutigen; außerdem das Einbeziehen von Menschen in das Lösen eines Problems.

Aus den beiden Grundkategorien lassen sich abhängig von deren Ausprägung und Kombination vier Führungsstile ableiten.

 

Führungsstil 1 – Anleiten: Dieser Führungsstil zeichnet sich durch ein stark dirigierendes und wenig unterstützendes Verhalten aus. Der Vorgesetzte gibt dem Mitarbeiter detaillierte Anweisungen, wie und mit welchen Zielen eine Aufgabe zu erfüllen ist, und überwacht eng das Vorgehen und die Leistung.

Führungsstil 2 – Coachen: Dieser Führungsstil ist durch ein stark dirigierendes und unterstützendes Verhalten charakterisiert. Der Vorgesetzte erläutert Entscheidungen, erfragt Vorschläge, lobt Vorgehensweisen (selbst wenn diese nur teilweise richtig sind) und gibt genaue Anleitungen. Vorschläge der Mitarbeiter zum Vorgehen sind zwar erwünscht, die Entscheidungen trifft aber weiterhin die Führungskraft.

Führungsstil 3  – Unterstützen: Dieser Führungsstil ist gekennzeichnet durch ein stark unterstützendes und wenig dirigierendes Verhalten. Er zielt primär auf ein Stärken oder Bewahren des Engagements des Mitarbeiters ab. Führungskräfte, die diesen Stil praktizieren, trainieren, hören zu und ermutigen, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und Problemlösungen zu entwerfen.

Führungsstil 4 – Delegieren: Dieser Führungsstil ist durch ein wenig unterstützendes und dirigierendes Verhalten geprägt. Der Vorgesetzte lässt den Mitarbeiter eigenständig handeln und sorgt für die nötigen Ressourcen. Dabei gilt es jedoch zu beachten: Der Vorgesetzte bestimmt weiterhin (im Idealfall, im Dialog mit dem Mitarbeiter) welche Ergebnisse gewünscht sind, und stellt sicher, dass Zielklarheit besteht. Er überwacht zudem die Leistung.

 

 

 

Agile Führung setzt gewissen Reifegrad voraus

Wenn Führungskräfte die vier Führungsstile und die Entwicklungsstufe ihrer Mitarbeiter kennen, können sie entscheiden, welches Führungsverhalten bei einer Aufgabe angemessen ist. Ist die Aufgabe für den Mitarbeiter neu, also sein Engagement hoch, jedoch seine Kompetenz niedrig, dann ist ein Anleiten angesagt. Bei einem Mitarbeiter hingegen, der bereits erste Erfahrungen gesammelt hat, dessen Engagement jedoch aufgrund von Rückschlägen erlahmt ist, ist ein Coachen angesagt. Hat ein Mitarbeiter schon eine gewisse Kompetenz entwickelt, scheut sich aber, diese anzuwenden, dann ist primär eine mentale Unterstützung nötig. Und hat ein Mitarbeiter bereits eine recht große Routine und stimmt sein Engagement, dann kann die Führungskraft die Aufgabe an den Mitarbeiter delegieren.

Und bei welchen Mitarbeitern ist nun das sogenannte agile Führen möglich, das weitgehend auf eine Selbstorganisation der Mitarbeiter setzt? Ohne Vorbehalte eigentlich nur

  • bei den Mitarbeitern, die bereits eine hohe Routine beim Bewältigen ihrer Aufgaben haben und bei denen das Engagement stimmt, und
  • bei den Mitarbeitern, die zum Beispiel in Teamstrukturen eingebunden sind, die gewisse bei ihnen noch vorhandene fachliche und motivationale Defizite unterstützend ausgleichen

 

Die Führungsstile flexibel und zielorientiert handhaben

Daraus folgt: Führungskräfte müssen ihr Führungsverhalten im Betriebsalltag stets flexibel der Entwicklung des jeweiligen Mitarbeiters sowie der jeweiligen Situation anpassen. Konkret bedeutet dies: Selbst wenn sie einen Mitarbeiter beim Erfüllen einer Aufgabe agil führten, kann es durchaus nötig sein, dass sie, wenn dieser eine andere Aufgabe wahrnimmt, einen scheinbar konträren Führungsstil, also ein stark dirigistisches und unterstützendes Führungsverhalten zeigen – auch um den Mitarbeiter in seiner Entwicklung  zu fördern.

Entsprechend hoch muss die Verhaltensflexibilität der Führungskräfte sein. Und hierfür gilt es sie zu qualifizieren – ähnlich wie sie dies selbst bezogen auf ihre Mitarbeiter tun sollten.

Hans-Peter Machwürth

 

Bedeutung des Begriffs „Hybride Führung“ hat sich gewandelt.

Ergänzung, 8.8.2021: Inzwischen haben sich die Begriffe „hybride Führung“ und „hybride Leadership“ übrigens zu stehenden Begriffen für eine Führungssituation entwickelt, bei dem ein Teil der Mitarbeiter am selben (Stand-)Ort wie die Führungskraft arbeitet, so dass eine persönliche Kommunikation möglich ist, und ein anderer Teil der Mitarbeiter auf Distanz geführt werden muss – zum Beispiel, weil er im Homeoffice arbeitet.

 

 

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